Botschaft betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf

Fortsetzung 11

[768] 212.2 Handelsbräuche
(Art. 9)

Im internationalen Verkehr kommt den Handelsbräuchen eine sehr grosse Bedeutung zu; ihnen trägt Artikel 9 Rechnung (vgl. dazu und zum Nachfolgenden Bonell M.J., Die Bedeutung der Handelsbräuche im Wiener Kaufrechtsübereinkommen von 1980 in: Juristische Blätter, 1985, S. 385 ff.). Als erstes wird festgehalten, dass die Parteien an vereinbarte Handelsbräuche gebunden sind, was sich mit Rücksicht auf den grossen Stellenwert, den das Übereinkommen der Parteiautonomie einräumt (vgl. Art. 6), an sich von selbst versteht. Absatz 1 hält ferner fest, dass die Parteien auch durch Gepflogenheiten, die zwischen ihnen entstanden sind, gebunden sein können. Auch dies lässt sich aus der Parteiautonomie ableiten, handelt es sich dabei doch im Grunde genommen um nichts anderes als eine stillschweigende Parteivereinbarung.

Als zentralen Punkt hält Absatz 2 fest, dass sich die Parteien vermutungsweise stillschweigend auf Handelsbräuche bezogen haben, die im internationalen Handel weithin bekannt und regelmässig beachtet werden, sofern die Parteien diese kannten oder hätten kennen müssen. Aber dies allein genügt nach Artikel 9 Absatz 3 nicht. Verlangt wird überdies, dass die betreffenden Handelsbräuche zwischen den Parteien bei Verträgen in einem bestimmten Geschäftszweig weithin verbreitet sind und bei Geschäften dieser Art auch regelmässig beachtet werden. Diese Einschränkungen widerspiegeln die Besorgnis der Entwicklungsländer vor der Geltung ihnen nicht bekannter Handelsbräuche.

Die Handelsbräuche selber sind nicht definiert. Darunter sind Regeln zu verstehen, welche die Parteien im Handel in entsprechender Situation beachten. Damit sie als Handelsbräuche anerkannt werden, bedarf es der tatsächlich herrschenden Übung, die Voraussetzung für die Entstehung und das Bestehen jeden Brauchs ist.

Die schweizerische Doktrin und Rechtsprechung gehen davon aus, dass die Geltung von Bräuchen grundsätzlich vom Willen der Parteien abhängt. Dementsprechend können Bräuche nur dann herangezogen werden, wenn und soweit ein entsprechender Wille der Parteien festgestellt oder allenfalls vermutet werden kann. Aus den im Wiener Übereinkommen vorgesehenen Einschränkungen auf weithin bekannte und im internationalen Handel regelmässig beachtete Handelsbräuche, die den Parteien bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, dürften sich kaum nennenswerte Unterschiede zum schweizerischen Recht ergeben.

Ob und inwiefern massgebende Handelsbräuche anderslautenden Bestimmungen des Übereinkommens vorgehen, sagt das Wiener Übereinkommen im Gegensatz zum Haager Einheitlichen Kaufrecht (Art.9 EKG) nicht. Da indessen gesetzlich vermutet wird, solche Handelsbräuche seien stillschweigend vereinbart worden, wird man im Hinblick auf die Parteiautonomie den Handelsbräuchen den Vorrang einräumen. Dies entspricht im übrigen auch der Lösung des Haager Einheitlichen Kaufrechts.

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