Botschaft betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf

Fortsetzung 27

232.45 Aufhebung des Vertrages

Im schweizerischen Recht ist die Wandelung ausgeschlossen, wenn die Kaufsache durch das Verschulden des Käufers untergegangen ist oder wenn er sie in Kenntnis des Mangels weiterveräussert oder verarbeitet hat. Femer ist die Wandelung ausgeschlossen, wenn der Käufer die Ware braucht, soweit darin ein Verzicht auf die Wandelung liegt. Darüberhinaus hat der Richter die Möglichkeit, anstelle der verlangten Wandelung die Minderung auszusprechen, sofern die Umstände das Rückgängigmachen des Kaufvertrages nicht rechtfertigen (vgl. Art. 205 Abs. 2 und 207 OR).

Das Wiener Übereinkommen sieht für die Aufhebung des Vertrages zwei Einschränkungen vor. Zum einen bedarf es für die Geltendmachung dieses Rechtes einer wesentlichen Vertragsverletzung (Art. 25), zum anderen sind der Aufhebung des Vertrages zeitliche Schranken gesetzt. Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe a statuiert den Grundsatz des wesentlichen Vertragsbruches als Voraussetzung für die Aufhebung des Vertrages, Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe b erlaubt dem Käufer, immer dann die Aufhebung des Vertrages zu erklären, wenn er dem Verkäufer bei Verzug eine Nachfrist setzt und dieser innerhalb der Nachfrist nicht liefert oder erklärt, nicht liefern zu wollen. Die Möglichkeit, durch das Ansetzen einer Nachfrist eine Vertragsverletzung als wesentlich zu qualifizieren, besteht somit grundsätzlich nur bei Nichtlieferung, d.h. beim Verzug des Verkäufers. Hat der Verkäufer schlechte oder andere Ware geliefert, berechtigt dies den Käufer nur dann zur Vertragsaufhebung, wenn die Lieferung einen wesentlichen Vertragsbruch darstellt.

Die zeitlichen Schranken des Vertragsaufhebungsrechts sind in Artikel 49 Absatz 2 festgehalten. Demnach muss der Käufer bei verspäteter Lieferung innert angemessener Frist erklären, dass er den Vertrag aufheben will, ansonsten er dieses Recht verliert (Abs. 2 Bst. a). Voraussetzung ist natürlich, dass die verspätete Lieferung eine wesentliche Verletzung darstellt. Ist die Leistungsstörung anderer als zeitlicher Natur, so hat der Käufer wiederum innerhalb angemessener Frist seit Kenntnis der Vertragsverletzung die Aurhebung des Vertrages zu erklären, sei es - im Anwendungsfall von Absatz 1 Buchstabe b - bei Nachbesserung durch den Verkäufer oder in allen übrigen Fällen (vgl. Abs. 2 Bst. i, ii, iii).

Die Einschränkungen, die das Recht auf Aufhebung des Vertrages erleidet, sind auf die Bedürfnisse des internationalen Handels zugeschnitten. Insbesondere bei Schlechtlieferung bedeutet dieses Recht eine schwere Belastung für den Verkäufer, weil die Aufhebung des Vertrages eine Rücknahme der mangelhaften Ware impliziert. Entsprechend sind die Voraussetzungen für dieses Recht des Käufers streng gestaltet.

Auch in der Schweiz sind der Wandelung mehrfache Einschränkungen auferlegt. Allgemein handelt es sich dabei um die Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben, indem der verletzten Partei eine rechtsmissbräuchliche Durchsetzung ihres Wandelungsanspruchs verwehrt werden soll (vgl. Art. 205 Abs. 2 OR). (S. 801)

232.46 Minderung

Im schweizerischen Recht kann der Käufer im Gewährleistungsfall die Herabsetzung des Kaufpreises verlangen, es sei denn, der geforderte Minderwert erreiche die Höhe des Kaufpreises (vgl. Art. 205 Abs. 3 OR) Eine weitere Beschränkung des Minderungsanspruchs ergibt sich aus Artikel 2 ZGB. Demnach wird der Käufer keine Minderung verlangen können, wenn der Verkäufer bei leicht behebbaren Mängeln sofortige Nachbesserung anbietet und dem Käufer daraus keinerlei Nachteile erwachsen. Nach herrschender Auffassung wird die Herabsetzung des Kaufpreises nach der sogenannten relativen Berechnungsweise ermittelt. Das bedeutet, dass der Preis um denjenigen Betrag herabgesetzt wird, der dem Verhältnis zwischen dem objektiven Wert der mängelfreien und dem objektiven Wert der fehlerhaften Kaufsache entspricht. Diese Berechnungsmethode erlaubt es, der Preisvereinbarung zwischen den Parteien, die nicht dem objektiven Preis entsprechen muss, Rechnung zu tragen. Als massgebender Zeitpunkt für die Schätzung des Kaufpreises ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder, bei späterem Übergang der Gefahr auf den Käufer, dieser Zeitpunkt zu beachten (vgl. BGE 45 II 60).

Das Wiener Übereinkommen spricht dem Käufer die Minderung des Kaufpreises zu, ohne dass es einer besonderen Schwere der Vertragsverletzung bedarf (Art. 50). Er kann die Minderung mit einer nur absendebedürftigen Mitteilung erklären.

Dieses Recht bleibt ausgeschlossen, wenn der Verkäufer nachträglich rechtmässig erfüllt, sei es im Falle der vorzeitigen Lieferung (Art. 37) oder sei es im Rahmen des zulässigen Nachbesserungsrechts (Art. 48). Dem Wortlaut nach besteht das Minderungsrecht nur bei Beschaffenheitsmängeln. Damit stellt sich die Frage, ob dem Käufer bei Rechtsgewährleistung die Minderung verschlossen bleibt. Die Diskussionen anlässlich der Beratungen blieben hierzu unentschieden. Beide Auffassungen dürften indessen zum selben Resultat führen. Vertritt man die Ansicht, dass Artikel 50 einzig die Sachgewährleistung beschlägt, so besteht hinsichtlich der Rechtsgewährleistung eine Lücke, die wohl nach Artikel 7 Absatz 2 geschlossen werden muss. Ein Rückgriff auf das nationale Recht ist jedenfalls ausgeschlossen, da es sich bei dieser Frage um einen Gegenstand handelt, der zum Anwendungsbereich des Übereinkommens gehört. Gründe, die für einen Ausschluss des Minderungsrechts bei Rechtsmängeln sprechen würden, lassen sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Übereinkommens jedenfalls nicht ermitteln. Entsprechend wird man nach den allgemeinen Prinzipien für die Begründung eines Minderungsanspruchs suchen müssen. Dabei liegt es auf der Hand, Artikel 50 analog heranzuziehen.

Die Methode zur Berechnung der Minderung weicht wesentlich vom schweizerischen Recht ab. Massgebend für die Bestimmung der Preisherabsetzung ist die Differenz (und nicht das Verhältnis) zwischen dem Wert mangelhafter Ware und demjenigen vertragsgemässer Ware. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Lieferung (und nicht etwa auf jenen des Vertragsabschlusses) Das hat zur Folge, dass dem Käufer als vertragstreuer Partei unter Umständen die Vorteile eines günstigen Geschäftes verloren gehen können. Überdies bleiben vertragliche Preisvereinbarungen, die aus besonderen Gründen wesentlich von den üblichen Marktpreisen abweichen können, unberücksichtigt. (S. 802)

232.47 Schadenersatz

Neben den bisher erwähnten Rechtsbehelfen kann der Käufer jeweils auch Schadenersatz geltend machen. Diesbezüglich besteht ein Unterschied zum OR, das bei Minderung einen Schadenersatz des Käufers nicht erwähnt. Ob dennoch Schadenersatz aus Artikel 97 OR geltend gemacht werden kann, ist in der Doktrin umstritten.

Nach Wiener Übereinkommen können Schadenersatzansprüche beiden Parteien zustehen; sie werden deshalb nicht im Abschnitt über die Rechte des Käufers bei Vertragsverletzung durch den Verkäufer behandelt, sondern im letzten Kapitel über die gemeinsamen Bestimmungen (Art. 74-77; vgl. Ziff. 235.2).

232.48 Vertragsverletzung bei Teilleistungen

Artikel 51 beschränkt die Rechte des Käufers auf den fehlerhaften Teil der Lieferung (Abs. 1). Eine Aufhebung des gesamten Vertrages ist nur möglich, wenn die fehlerhafte Teilleistung einem wesentlichen Vertragsbruch entspricht (Abs. 2).

232.49 Vorzeitige Lieferung

Wie bereits erwähnt (vgl. Ziff. 232.23 Bst. c), steht es dem Käufer frei, vorzeitig gelieferte Ware anzunehmen. Tut er es, so gilt die vorzeitige Lieferung grundsätzlich als vertragsmässig erfolgt (Art. 52 Abs. 1).

Nach Artikel 52 Absatz 2 kann der Käufer zuviel gelieferte Ware annehmen oder ablehnen, im Falle der Annahme hat er entsprechend einen höheren Kaufpreis zu bezahlen. Aufwendungen, die dem Käufer durch die Annahme vorzeitiger oder zusätzlicher Lieferungen entstehen, kann er sich vom Verkäufer ersetzen lassen. Davon ausgenommen bleiben die Fälle, in denen der Käufer mit der Annahme der Lieferung ein den Vertrag änderndes Angebot des Verkäufers annimmt. Ob eine Vertragsänderung zustande gekommen ist oder ob ein Anwendungsfall nach Artikel 52 vorliegt, ist unter Berücksichtigung der in Artikel 8 erwähnten Auslegungsgrundsätze nach den gesamten Umständen zu ermitteln (vgl. Ziff. 212.1).

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