Botschaft betreffend das Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf

Fortsetzung 8

211.32 Besondere Kaufgeschäfte

Bestimmte Kaufgeschäfte, wie namentlich Konsumentenkäufe, Werklieferungs- und Dienstleistungsverträge, erfahren im Wiener Übereinkommen eine besondere Regelung.

Nach Artikel 2 Buchstabe a findet das Übereinkommen keine Anwendung auf Kaufverträge über Waren für den persönlichen Gebrauch oder den Gebrauch in der Familie oder im Haushalt (Konsumentenkäufe). Ausgenommen sind nur jene Verbrauchergeschäfte, bei denen der Verkäufer über die persönliche oder familiäre Bestimmung des Kaufgegenstandes nichts wusste und auch nichts wissen musste. Abgrenzungsfragen sind im Wege der Auslegung (Art. 8) zu klären.

Weiter ist der Kauf bei einer Versteigerung (Art.2 Bst. b) oder bei einer sonstigen gerichtlichen bzw. Zwangsvollstreckungsmassnahme (Art.2 Bst. c) vom Übereinkommen ausgeschlossen. Dieser Ausschluss geschah mit Rücksicht auf die zahlreichen zwingenden Bestimmungen, die die nationalen Rechtsordnungen auf diesem Gebiet kennen.

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Artikel 3 Absatz 1 behandelt den Werklieferungsvertrag; die Bestimmung entspricht Artikel 6 EKG. Demgemäss gelten Verträge über die Lieferung herzustellender Waren als Kaufverträge im Sinne des Übereinkommens, soweit nicht der Besteller einen wesentlichen Teil (une part essentielle) der notwendigen Stoffe beschafft. Was als wesentlicher Teil der Stoffe betrachtet wird, muss anhand des Einzelfalles überprüft werden. Für die Abgrenzung der dem Übereinkommen unterliegenden Werklieferungsverträge von den eigentlichen Werkverträgen kann auf die Rechtsprechung zu Artikel 6 EKG zurückgegriffen werden.

Der Einbezug der Werklieferungsverträge in das Wiener Kaufrechtsbereinkommen entspricht auf den ersten Blick nur bedingt schweizerischer Rechtsauffassung. Im OR wird der Werklieferungsvertrag, gemäss welchem der Lieferant individuell bestimmte Sachen aus eigenem Material herstellt und dem Besteller übereignet, unter die Bestimmungen über den Werkvertrag subsumiert (vgl. Art. 365 Abs. 1 OR) Allerdings handelt es sich dabei wohl nicht um einen reinen Werkvertrag, sondern um einen gesetzlich geregelten gemischten Vertrag mit Elementen des Kaufs und des Werkvertrages. Entsprechend sieht Artikel 365 Absatz 1 0R vor, dass der Unternehmer für den von ihm gelieferten Stoff wie ein Verkäufer haftet. Die Subsumtion des Werklieferungsvertrages unter das Übereinkommen dürfte deshalb auch aus der Sicht des schweizerischen Rechtsempfindens keine Schwierigkeiten bieten.

Artikel 3 Absatz 2 enthält eine Präzisierung zum Dienstleistungsvertrag. Das Übereinkommen findet keine Anwendung, wenn die die Ware liefernde Partei zu einem überwiegenden Teil Arbeiten oder andere Dienstleistungen ausführt. Diese Bestimmung ist gegenüber dem Haager Einheitlichen Kaufrecht ausdrücklich aufgenommen worden, um das schwierige Problem der Lieferverträge mit Montageverpflichtung abzudecken. Ergibt im Einzelfall die Würdigung der Umstände, dass die Sachleistung gegenüber der Dienstleistung nur ganz untergeordnete Bedeutung hat, so gilt grundsätzlich für den ganzen Vertrag Werkvertragsrecht; er füllt daher nicht unter das Übereinkommen. Man kann sich zwar die Frage stellen, ob in solchen Fällen nicht eher zwei Verträge - ein Lieferungs- und ein Montagevertrag vorliegen. Darüber kann aber letztlich nur der zu ermittelnde Wille der Parteien entscheiden.

Ob und inwieweit das Wiener Übereinkommen jene Kaufverträge erfasst, die im OR besonders geregelt sind, muss im Einzelfall geprüft werden.

Beim Kauf nach Muster (Art.222 0R) wird durch die Übergabe eines Musters in besonderer Weise eine Eigenschaft zugesichert, für welche der Verkäufer einzustehen hat. Artikel 222 Absatz 3 OR enthält hierzu eine Regel über die Beweislastverteilung. Bei sachgemässer Auslegung scheint klar, dass der Käufer durch die Vorlage des Musters den Beweis für das Vorhandensein einer zugesicherten Eigenschaft erbringt und dass er anschliessend nachweisen muss, dass die gelieferte Kaufsache dem Muster nicht entspricht (vgl. dazu Cavin Pierre, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/l, Basel und Stuttgart 1977, S. 158ff.). Das Wiener Übereinkommen erwähnt den Kauf nach Muster im Abschnitt über die Vertragsmässigkeit der Ware und die Rechte oder Ansprüche Dritter. Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe c hält fest, dass die Ware nur dann dem Vertrag entspricht, wenn sie die gleichen Eigenschaften besitzt wie die Ware, die dem Käufer als [763] Probe oder Muster vorgelegt wurde. Die Regelung entspricht daher derjenigen des schweizerischen Rechts.

Beim Kauf auf Probe oder auf Besicht (Art. 223-225 OR) handelt es sich um einen aufschiebend bedingten Kauf, dessen Hauptwirkungen von der Erfüllung der Bedingung abhängig sind. Dem Käufer steht es frei, die Sache zu genehmigen oder nicht. Er kann sie also auch ohne vorhandene Mängel zurückweisen. Nach dem Wiener Übereinkommen (Art.35 und 53) kann der Käufer die empfangene Ware nur ablehnen, wenn sie dem Vertrag nicht entspricht. Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Die Parteien können aber diese Bestimmungen einvernehmlich abändern (opting out). Liegt eine solche Parteivereinbarung vor, so untersteht der Kauf auf Probe oder Besicht im übrigen dem Wiener Übereinkommen.

Abzahlungsgeschäfte (Art.226a-228 OR) betreffen in der Regel Verbrauchsgüter, die vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ohnehin ausgeschlossen sind (vgl. Art.2 Bst. a). Sollte ein Abzahlungsgeschäft ausnahmsweise nicht als Konsumentenkauf betrachtet werden, so wird es grundsätzlich unter das Übereinkommen fallen, und zwar als Kauf, bei dem die Parteien hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten abweichende Vereinbarungen getroffen haben.

Mietkaufverträge stehen den Kaufverträgen gleich und fallen unter das Übereinkommen, sofern nicht der Vorbehalt von Artikel 2 Buchstabe a (Konsumentenkauf) Platz greift.

Dagegen sind Tauschgeschäfte vom Übereinkommen nicht erfasst. Zu fragen ist hingegen, ob in einzelnen Fällen gemischte Tausch-Kaufverträge und demzufolge auch Kompensationsgeschäfte dem Übereinkommen unterstehen. In Anlehnung an Artikel 3 kann man darauf abstellen, ob die Geld- oder die Tauschleistung überwiegt. Macht die Geldleistung einen wesentlichen oder überwiegenden Teil aus, so wird das Übereinkommen anwendbar sein. In dieser Frage dürfte in den nächsten Jahren eine markante internationale Entwicklung einsetzen.

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