Österreichischer Nationalrat,
Erläuterungen zu dem VN-Übereinkommen über
den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980

in: Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates,
XVII. GP 1987, Bd. II, Beil. 94

S. 45-71

Datei Nr. 2

II. Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

Zu Artikel 1 :


Die Verknüpfung zwischen dem - örtlichen und schließlich auch dem sachlichen - Geltungsbereich der Übereinkommen und dem internationalen Privatrecht (IPR) besteht auf zwei Ebenen:

Zunächst ist es so, daß die Regeln über den Anwendungsbereich eines Übereinkommens zur Privatrechtsvereinheitlichung ihrer Natur nach selbst IPR sind. Denn das IPR bestimmt, welcher Rechtsordnung das materielle Recht für die Beurteilung eines Sachverhalts, der Beziehungen zu mehr als einer Rechtsordnung aufweist, zu entnehmen ist. Die Bestimmungen über den Anwendungsbereich eines Übereinkommens der vorliegenden Art geben daher an, unter welchen Voraussetzungen ein Sachverhalt, der Beziehungen zu mehr als einer Rechtsordnung aufweist, nicht dem nationalen IPR und damit den materiellrechtlichen Vorschriften des einen oder des anderen Staates, sondern den materiellrechtlichen Vorschriften des Übereinkommens zu unterwerfen ist. So werden die Vorschriften über den Geltungsbereich des Übereinkommens, in dem bestimmte Sachverhalte dem ansonsten anzuwendenden IPR entzogen und einem besonderen Regime, nämlich einem international vereinbarten und mit keiner nationalen Rechtsvorschrift identen Regime, unterworfen werden, selbst zu Regeln des IPR.

Grundvoraussetzung für die territoriale Anwendung des Übereinkommens ist, daß die Parteien des Kaufvertrages ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben. Allerdings erlaubt Artikel 94 den Staaten mit gleichem oder annähernd gleichem Kaufrecht, von der Anwendung des Übereinkommens abzusehen, wenn der Vertrag zwischen Parteien in ihren Staaten geschlossen worden ist.

Tendenz des Übereinkommens ist es, die Parteien den Rechtsvorschriften zu unterwerfen, deren Anwendung sie erwarten. Diese Zielrichtung zeigt sich auch in Absatz 2, wonach der Umstand, daß die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben, unbeachtlich sein soll, wenn er sich weder aus dem Vertrag noch aus den Vorverhandlungen zwischen den Parteien noch aus Mitteilungen ergibt, die diese Parteien einander irgendwann vor oder bei dem Abschluß des Vertrages gemacht haben.

Zum Unterschied von der Abgrenzung zwischen Handelskauf und Verbraucherkauf (Artikel 2 lit. a), wo es auch auf die Kenntnis von Umständen (S. 49) durch eine Partei ankommt, beinhaltet Artikel 1 Absatz 2 jedoch keinerlei Vermutung. Allerdings müssen die Parteien die Anwendung des Übereinkommens akzeptieren, wenn sich der maßgebliche Umstand, nämlich die Niederlassungen in verschiedenen Staaten, aus ganz bestimmten Quellen ergibt. Es muß jedoch angemerkt werden, daß - außer bei Geschäften, die wegen des Ausschlusses der Konsumentenkäufe nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens gelangen - Fälle, in denen die Parteien voneinander den Ort der Niederlassung, oder, bei Fehlen von Niederlassungen, den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, nicht kennen, sehr selten sein werden.

Eher theoretisch dürfte auch der Fall sein, in dem eine der Parteien auf Grund der ihr erteilten Auskünfte der anderen um das internationale Element weiß, die andere Partei aber nicht. Derartige Situationen wurden auch weder bei der Ausarbeitung des Entwurfes noch bei der Konferenz selbst erörtert. Selbstverständlich könnte man argumentieren, daß die in Kenntnis des internationalen Elements befindliche Partei nach den Regeln des Übereinkommens verpflichtet sein sollte, die unwissende Partei jedoch nicht. Eine solche Lösung wäre jedoch nicht sinnvoll, weil die Unkenntnis einer der Parteien nicht notwendigerweise die Folge einer "zu bestrafenden" Nachlässigkeit der anderen Partei sein muß, insbesondere aber deswegen, weil nicht gesagt ist, daß das Regime des Übereinkommens in einem bestimmten Streitfall für die eine oder die andere der Parteien günstiger oder weniger günstig sein wird als das sonst anzuwendende nationale Recht. Es scheint daher eher, daß die Anwendung des Übereinkommens nicht "relativ" sein kann, sondern daß dieses immer für beide Parteien gleichermaßen gelten oder nicht gelten muß. Und da es sich trotz der negativen Formulierung des Absatzes 2 um eine zusätzliche positive Anwendungsvoraussetzung handelt, müßte die Unkenntnis auch nur einer der Parteien hinsichtlich der Belegenheit der Niederlassungen oder gewöhnlichen Aufenthalte in verschiedenen Staaten zur Nichtanwendung des Übereinkommens führen.

Sind die Grundvoraussetzungen der Niederlassung - oder des gewöhnlichen Aufenthalts - der Parteien in verschiedenen Staaten realisiert, so ist es darüber hinaus noch erforderlich, daß zur Unterstreichung der engen Anknüpfung der Angelegenheit mit den Staaten, die das Übereinkommen angenommen haben, eine weitere Bedingung erfüllt wird. Diese ist alternativ formuliert. Es ist nämlich nötig, daß entweder beide Staaten der Niederlassungen oder gewöhnlichen Aufenthalte Vertragsstaaten sind oder daß das IPR des Staates des befaßten Gerichts zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates fuhrt.

Die erste dieser Voraussetzungen ist relativ einfach. Allerdings kann nach Artikel 93 ein Vertragsstaat, der zwei oder mehrere territoriale Einheiten mit verschiedenen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Kaufrechts besitzt, erklären, daß das Übereinkommen in allen seinen Gebietsteilen oder nur in einem oder mehreren derselben angewendet werden wird. Die Teile des Staatsgebiets, in denen auf Grund einer solchen Erklärung das Übereinkommen nicht gilt, werden als "nicht vertragsschließende Gebiete" angesehen. Das bedeutet, daß die Niederlassung oder der gewöhnliche Aufenthalt einer der Parteien in einem solchen Gebiet als nicht in einem Vertragsstaat gelegen gilt.

Die zweite der alternativ vorgesehenen zusätzlichen Voraussetzungen führt dazu, daß bei Nichtvorliegen der ersten der Richter zunächst so vorzugehen hat, als ob das Übereinkommen nicht vorhanden wäre. Er muß, gleichgültig ob es sich um den Abschluß eines Kaufvertrages oder um die Rechtsfolgen dieses Abschlusses zwischen Parteien mit Niederlassungen oder gewöhnlichen Aufenthalten in verschiedenen Staaten handelt, feststellen, welches nationale Recht auf den ihm unterbreiteten Streitfall anzuwenden wäre.

In einer gewissen Anzahl von Staaten ist das IPR und ebenso das allenfalls von diesem bezeichnete ausländische Recht von Amts wegen anzuwenden (so die §§ 2 und 3 des österreichischen IPR-Gesetzes), während in anderen Staaten der Richter immer nach seinem innerstaatlichen materiellen Recht vorgehen kann, es sei denn, die Parteien hätten auf der Grundlage des IPR die Anwendung ausländischer Rechte begehrt. Artikel 1 Absatz 1 lit. b basiert offensichtlich auf dem zuerst genannten System, da ansonsten das IPR nicht zur Anwendung käme und selbst der Richter eines Vertragsstaates immer sein innerstaatliches Recht anwenden dürfte; nur auf Antrag einer der Parteien hätte er das anzuwendende Recht zu suchen und, sollte diese Prüfung die Anwendbarkeit des Rechtes seines eigenen Landes ergeben, nicht dieses Recht, sondern das Übereinkommen anzuwenden. Dieses Argument unterstreicht, daß die Bestimmungen über den Anwendungsbereich des Übereinkommens, wie vorhin gesagt, nicht nur selbst IPR-Bestimmungen sind, sondern noch zusätzlich solche, zu deren amtswegiger Beachtung sich die Mitgliedstaaten, gleich ob darauf abzielende Anträge gestellt werden, staatsvertraglich verpflichtet haben.

Das befaßte Gericht hat somit auf der Grundlage seines eigenen IPR das anzuwendende Recht zu suchen, wobei auch die Bestimmungen über die Rück- bzw. Weiterverweisung (vgl. § 5 IPR-Gesetz) anzuwenden sind. Zu diesem Zweck muß es auch das ausländische IPR in seiner ursprünglichen Form anwenden. Verweist das ausländische IPR auf das Recht eines dritten Staates und ist die Weiterverweisung nach dem IPR des ersten Staates zu befolgen, so ist es ohne Bedeutung, ob es sich bei dem weiterverweisenden Recht um das eines Vertragsstaates oder eines Nichtvertragsstaates handelt und, im ersteren Fall, ob dieser Vertrags-(S. 50) -Staat von der Vorbehaltsmöglichkeit zu Artikel 1 Absatz 1 lit. b Gebrauch gemacht hat. Erst wenn das ursprünglich befaßte Gericht festgestellt hat, welches Recht im Fall des Nichtvorhandenseins des Übereinkommens anzuwenden wäre, hat die Entscheidung, das Übereinkommen anzuwenden oder nicht anzuwenden, danach zu ergehen, ob der Staat, dessen Recht zum Zuge käme, ein Vertragsstaat ist oder nicht.

Da die Berücksichtigung des Artikels 1 Absatz 1 lit. b begrifflich voraussetzt, daß das diese Vorschrift anwendende Gericht das eines Vertragsstaates ist, und da man annehmen kann, daß sich die Parteien fast ausschließlich an die Gerichte des einen oder des anderen der beiden Staaten wenden werden, in denen sie ihre Niederlassungen haben, würde die Bestimmung die Geltung des Übereinkommens für etwa die Hälfte der vor Gerichten von Vertragsstaaten anhängig gemachten Streitigkeiten aus internationalen Käufen garantieren.

Die Vorbehaltsmöglichkeit des Artikels 95, die ganz am Ende der Wiener Konferenz eingefügt wurde, bedeutet daher eine sehr wesentliche Beeinträchtigung des von der Konferenz selbst angestrebten Zweckes, nämlich der Absicht, den Welthandel, soweit es um Kaufverträge geht, einem einzigen Recht zu unterstellen. Nach diesem Artikel 95 kann jeder Staat bei Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde erklären, daß er an Artikel 1 Absatz 1 lit. b nicht gebunden sein will, dh. daß er das Übereinkommen nur dann anwenden wird, wenn der Kauf ausschließlich zwischen Vertragsstaaten stattfindet.

Nichtsdestoweniger können diejenigen, die die Vorbehaltsmöglichkeit verlangt und auch bekommen haben, folgende These aufstellen: Wegen der Erklärung des Vorbehalts durch einen Vertragsstaat kann sich kein anderer Vertragsstaat beschwert erachten, weil der Vorbehaltsstaat ihm gegenüber nach wie vor das Übereinkommen anzuwenden verpflichtet ist. Selbstverständlich kann sich auch ein Nichtvertragsstaat nicht aus dem Grund beschwert erachten, weil der Vorbehaltsstaat in bestimmten Fällen, in denen sein IPR die Beziehung der Angelegenheit zu seinem eigenen Gebiet für stärker erachtet als zu dem des Nichtvertragsstaates, sein eigenes internes Recht und nicht das Übereinkommen anwendet. Sollten die Handelstreibenden dieses Nichtvertragsstaates es wirklich vorziehen, im Vorbehaltsstaat dem Übereinkommen, das sie vielleicht doch besser kennen, als dem für sie fremden Recht des Vorbehaltsstaates unterworfen zu werden, so können diese Handelstreibenden ja auf ihren Heimatstaat einwirken, damit auch er Vertragsstaat wird; danach würde es sich um Beziehungen zwischen zwei Vertragsstaaten handeln, für welche der vom anderen Staat erklärte Vorbehalt bedeutungslos wäre.

Absatz 3 versteht sich mit der Einschränkung des Artikels 2 lit. a.

Zu Artikel 2:

Zum sachlichen Anwendungsbereich ist zunächst festzustellen, daß das Wort "Kauf" im Übereinkommen nur dadurch definiert wird, daß an verschiedenen Stellen die einzelnen Ansprüche und Pflichten des Verkäufers und des Käufers angeführt werden. Man kann jedoch voraussetzen, daß der Begriff "Kauf" überall im wesentlichen im Sinn eines Austausches von üblichen und allgemein angenommenen Zahlungsmitteln gegen Güter, die nicht solche Zahlungsmittel sind, verstanden wird. Die Artikel 2 und 3 des Übereinkommens ziehen nur eine Trennlinie für die Fälle, in denen es fraglich sein kann, ob ein solcher Austausch vorliegt, bzw. schließen aus praktischen Gründen Geschäfte, die unbestreitbar Kaufcharakter haben, dennoch vom Anwendungsbereich des Übereinkommens aus.

Zum Unterschied von den Redaktoren der Kaufrechtsübereinkommen 1964 waren die des Übereinkommens 1980 übereinstimmend der Auffassung, daß ihr Vereinheitlichungswerk nur für den "großen" internationalen Handel bestimmt sei und nicht für unbedeutende Einkäufe gelten solle, die Ausländer irgendwo als Konsumenten vornehmen. Dieses Konzept liegt bereits, wenn auch in etwas anderer Formulierung, dem ersten von der UNCITRAL geschaffenen Übereinkommen über den Warenkauf, nämlich dem Übereinkommen über die Verjährung beim internationalen Warenkauf 1974, zugrunde. Warenkäufe für den persönlichen Gebrauch, den Gebrauch in der Familie oder im Haushalt unterliegen daher auch nicht dem Übereinkommen von 1980. Sie unterliegen diesem Übereinkommen nichtsdestoweniger doch, wenn der Verkäufer zu irgendeinem Zeitpunkt vor oder bei Abschluß des Vertrages weder wußte noch wissen mußte, daß die Waren zum Zweck eines solchen Gebrauchs gekauft wurden. Diese Einschränkung der Ausnahme, die eine Ausdehnung des Geltungsbereiches mit sich bringt, soll der Rechtssicherheit dienen. Die Parteien sollen im vorhinein wissen, welchen Normen ihre Beziehungen unterworfen sein werden. Aber nur der Käufer weiß mit Sicherheit, zu welchem Zweck er kauft. Hat das Geschäft für den Verkäufer unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Ausmaßes, den Anschein einer kaufmännischen Transaktion, also eines Warenkaufs, obwohl es sich in Wirklichkeit um einen Konsumentenkauf handelt, so soll es Sache des Käufers sein, den Verkäufer hievon in Kenntnis zu setzen, wenn er wünscht, daß das Geschäft nicht dem Übereinkommen unterliegen soll. Gleiches gilt allerdings nicht im umgekehrten Sinn. Wird die Ware - trotz gegenteiligen Anscheins - für einen Gebrauch gekauft, der weder der Person noch der Familie noch dem Haushalt zuzurechnen ist, somit also einem kaufmännischen Zweck, so ist es unbeachtlich, ob dies der Verkäufer weiß oder nicht weiß: Unter diesen (S. 51) Voraussetzungen ist das Übereinkommen anzuwenden.

Käufe bei Versteigerungen (lit. b) und solche auf Grund einer Beschlagnahme oder sonst eines Auftrages des Gerichts (lit. c) sind offensichtlich deswegen ausgeschlossen, weil sich einerseits der Verkäufer und der Käufer nicht ausreichend kennen, um zu beurteilen, ob die Anwendungsvoraussetzungen des Übereinkommens zutreffen oder nicht, andererseits, weil diese Käufe eine so klare und starke Beziehung zu dem Ort haben, an dem sie stattfinden, daß es wenig sinnvoll wäre, sie einem anderen Recht als dem dieses Ortes, ja selbst einem internationalen Recht, zu unterwerfen.

Der Ausschluß der Käufe von Wertpapieren und Zahlungsmitteln (lit. d) berücksichtigt das Vorhandensein bestimmter internationaler Übereinkommen, insbesondere hinsichtlich Wechsel und Scheck, aber auch die Tatsache, daß diese Geschäfte sehr oft eher als Tausch- denn als Kaufverträge angesehen werden können.

See- und Binnenschiffe, Luftkissenfahrzeuge und Luftfahrzeuge (lit. e) haben, soweit es sich um Einheiten einer gewissen Größe handelt, einen Registrierungsort, dessen Recht nach der überwiegenden Meinung für sie maßgebend zu sein hat. Hier einen Unterschied zwischen eingetragenen und nicht eingetragenen Fahrzeugen zu machen, hätte, im Hinblick auf die unterschiedlichen Auffassungen von den Eintragungsvoraussetzungen, international zu außerordentlich großen Komplikationen geführt. Aus diesem Grund hat man sich - nach sehr langen Diskussionen - bereits für das Verjährungsübereinkommen entschlossen, diese Beförderungsmittel selbst insoweit auszunehmen, als sie nicht eingetragen sind. Das Kaufrechtsübereinkommen folgt in diesem Belang dem Verjährungsübereinkommen.

Schließlich ist die Ausnahme für elektrischen Strom (lit. f) das Überbleibsel einer früheren Konzeption, die vor allem in den Übereinkommen 1964 durch den Terminus "Kauf beweglicher körperlicher Gegenstände" zum Ausdruck gekommen ist. Man hat damals den elektrischen Strom als nicht körperlich, Gas hingegen zum Beispiel als körperlich angesehen. Dieser Gedankenrichtung folgend war der elektrische Strom auch keine "Ware", die dem neuen Übereinkommen der Vereinten Nationen zu unterstellen war.

Zu Artikel 3:

Durch Absatz 1 werden Werklieferungsverträge - so wie sie darin definiert sind - den Kaufverträgen für die Anwendung des Übereinkommens gleichgestellt. Voraussetzung ist danach, daß der Besteller nicht einen wesentlichen Teil der Rohstoffe zur Verfügung stellt. Unter einem "wesentlichen" Teil ist nicht unbedingt der überwiegende Teil zu verstehen. Arbeit und Know-how sind bei der Beurteilung nicht zu berücksichtigen.

Nach Absatz 2 sind Verträge, bei denen der überwiegende Teil der Pflichten des Lieferers der Ware in der Ausführung von Arbeiten oder anderen Dienstleistungen besteht, jedoch von der Anwendung des Übereinkommens ausgenommen. Unter diesem Gesichtspunkt sind vor allem Verträge über die Lieferung von Maschinen oder ganzen Betriebsanlagen mit der Verpflichtung zur Montage und/oder Wartung zu prüfen. Eine Trennung solcher - wirtschaftlich eine Einheit bildender - Anlagenbauverträge in Kaufvertrag (der dem Übereinkommen unterliegt) und Werkvertrag (für den dies nicht zutrifft) wäre oft nur schwer möglich und kaum sinnvoll.

Zu Artikel 4:

Dieser Artikel dient hauptsächlich einer klarstellenden Abgrenzung. Unter der Gültigkeit des Vertrages oder einzelner Vertragsbestimmungen ist vor allem die innere Gültigkeit (Vorliegen von Willensmängeln) zu verstehen. Was die Frage der äußeren Gültigkeit, nämlich der Form des Vertrages, aber auch allfälliger Vertragsänderungen betrifft, sei auf das Zusammenspiel der Artikel 11, 12 und 96 verwiesen. Die Anwendbarkeit (jedoch nicht die Gültigkeit) von Handelsbräuchen regelt Artikel 9. Die Frage des Eigentums an den Waren könnte nur als in den Artikeln 30 und 41 bis 43 berührt angesehen werden; diese Artikel betreffen die Pflicht, das Eigentum an der verkauften Ware zu übertragen, und die Wirkungen von Rechten und Ansprüchen Dritter auf die Ware, nicht aber den Eigentumsübergang selbst.

Zu Artikel 5:

Hier geht es um eine Teilmaterie der Produktehaftung. Sie soll nicht unter den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, weil es sich um ein Spezialgebiet mit zahlreichen nationalen Besonderheiten handelt.

Zu Artikel 6:

In diesem Artikel ist der Grundsatz der Privatautonomie festgelegt und zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei den Vorschriften des Übereinkommens um dispositives Recht handelt. Die Ausschließung oder Abweichung kann nur einvernehmlich geschehen. In der Praxis bedeutsam werden auch Ausschließungen oder Abweichungen durch Handelsbräuche sein (Artikel 9). Ob in der Vereinbarung des nationalen Rechtes eines Staates, der dem Übereinkommen angehört, eine Verweisung bloß auf dessen innerstaatliches Recht und damit ein stillschweigender Ausschluß der Anwendung des Übereinkommens liegt, kann nicht generell, sondern nur nach dem Parteiwillen im einzelnen Fall entschieden werden.

Die Ausnahme des Artikels 12 von der Parteiautonomie ist ein Teil des hinsichtlich der Form des (S. 52) Kaufvertrages erzielten Kompromisses (siehe die Artikel 11, 12 und 96 sowie die Erläuterungen hiezu).

Nicht geregelt ist im Übereinkommen der umgekehrte Fall, nämlich unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Rechtsfolgen die Parteien kraft Parteiautonomie den Anwendungsbereich des Übereinkommens auch auf Fälle ausdehnen dürfen, auf die es sonst nicht anwendbar wäre. Diese Fragen richten sich ausschließlich nach dem Recht des befaßten Gerichtes einschließlich dessen IPR. Manche Kollisionsrechte sehen hier mehr oder weniger weitgehende Beschränkungen vor, das österreichische IPR allerdings nimmt gegenüber der kollisionsrechtlichen Rechtswahl eine betont liberale Haltung ein. So wird der Grundsatz, daß das gewählte Recht auch an die Stelle der zwingenden Bestimmungen der sonst maßgebenden Rechtsordnung tritt, nur in besonderen Ausnahmefällen Einschränkungen unterworfen (wie zB § 41 Abs. 2 IPR-Gesetz bezüglich der Verbraucherverträge).

Der ordre public des Rechts des Staates des befaßten Gerichts ist immer zu beachten. Allerdings kann dieser ordre public wohl nicht geltend gemacht werden, wenn der Staat des angerufenen Gerichts selbst Vertragsstaat ist. Denn Rechtsregeln, die dieser Staat auf bestimmte Streitigkeiten anzuwenden vertraglich versprochen hat, können nicht in demselben Staat als mit den Grundwertungen seiner Rechtsordnung unvereinbar angesehen werden, es sei denn, diese Unvereinbarkeit würde ausschließlich in der Ausdehnung des Systems auf den betreffenden Rechtsstreit liegen, was einen nur schwer vorstellbaren Sachverhalt zur Grundlage haben müßte.

Zu Artikel 7:

Die Tendenz dieser Bestimmung ist, so lange und soweit wie möglich nicht auf die Vorschriften des nationalen Rechtes zurückgreifen zu müssen. Zur Beachtung des "internationalen Charakters" des Übereinkommens (Absatz 1) gehört das Verständnis, daß die darin verwendeten Begriffe nicht solche des jeweiligen nationalen Rechtes mit dem diesem eigentümlichen Inhalt sind, sondern (absichtlich) in möglichst allgemeiner und neutraler Bedeutung gewählte. Zur Ermittlung dieser Bedeutung im einzelnen Fall ist erforderlichenfalls auf die Texte in den verbindlichen Originalsprachen des Übereinkommens zurückzugreifen. Die Förderung der "einheitlichen Anwendung" des Übereinkommens verlangt auch, nach Möglichkeit die bekanntgewordene ausländische Rechtsprechung zum Übereinkommen zu berücksichtigen, selbst wenn diese keine bindende Wirkung entfalten kann; das gleiche gilt für ausländische Literatur zum Übereinkommen.

Die "Wahrung des guten Glaubens" soll zu einheitlichen Richtlinien führen und wird auch einen Ansatzpunkt zur ergänzenden Vertragsauslegung geben.

In Absatz 2 geht es um Lückenfüllung: Fragen, die im Übereinkommen geregelte Gegenstände betreffen, darin aber nicht ausdrücklich entschieden sind, sind nach den allgemeinen Grundsätzen, die dem Übereinkommen zugrundeliegen (zB durch Analogie zu gleichartigen geregelten Fragen), zu entscheiden, erst mangels solcher Grundsätze nach dem Recht, auf das das internationale Privatrecht des befaßten Gerichtes verweist.

Zu Artikel 8:

Dieser Artikel betrifft die Auslegung von Erklärungen und anderem Verhalten der Parteien und damit indirekt auch des entsprechenden Vertragsinhalts.

Ist eine Auslegung nach Absatz 1 nicht möglich, so wird in Absatz 2 als objektiver Maßstab für das Verständnis der Erklärung oder des Verhaltens ein fiktiver Erklärungsempfänger herangezogen, nämlich eine "vernünftige Person der gleichen Art wie die andere Partei" (gleiche Rolle und Situation wie die des tatsächlichen Erklärungsempfängers); die Erklärung oder das Verhalten werden so ausgelegt, wie dieser fiktive Erklärungsempfänger sie "unter den gleichen Umständen" (des konkreten Falles) aufgefaßt hätte.

Der hier erstmals vorkommende und besonders im Teil III oft verwendete Ausdruck "reasonable" bzw. "raisonable" (im Zusammenhang mit Personen als "vernünftig", sonst meist als "angemessen" wiedergegeben) kommt der Figur des "redlichen, verständigen Erklärungsempfängers" nach der österreichischen und deutschen Lehre zur Vertrauenstheorie nahe (siehe Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts 7, I 84, und die dort in FN 18 angeführte Literatur, Rummel in Rummel, Kommentar zum ABGB § 863 Rz 1).

Auch Absatz 3 kommt zu den §§ 863, 914 ABGB sehr ähnlichen Ergebnissen, bezieht aber ua. das spätere Verhalten der Parteien ein, da dieses gewisse Rückschlüsse auf ihre ursprünglichen Absichten erlaubt,

Zu Artikel 9:

Im Sinn der Freiheit der Parteien zur Gestakung des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses ist hier festgelegt, daß Handelsbräuche, mit denen sie sich - ausdrücklich oder stillschweigend - einverstanden erklärt haben, und Gepflogenheiten, die zwischen ihnen entstanden sind, für sie bindend sind, also auch den Vorschriften des Übereinkommens vorgehen.

Die Formulierung des Absatzes 2 enthält für die Vermutung, daß sich die Parteien bei ihrem Vertrag stillschweigend auf bestimmte Handelsbräuche bezogen haben, einen subjektiven und einen objektiven Test und ist in ihrer Kombination vom Mißtrauen der Entwicklungsländer gegenüber den (S. 53) Handelsbräuchen in den Industriestaaten, die diese geltend machen können, sie selbst aber - schon aus Unkenntnis des Bestehens des Brauches - nicht, geprägt.

Nicht unter diesen Artikel fallen Gepflogenheiten, die sich nicht auf das Kaufrecht, sondern auf allenfalls mit dem Kauf inhaltlich zusammenhängende andere Fragen, zB solche des Verfahrensrechts, beziehen und/oder zwingenden Rechtsvorschriften widersprechen, wie etwa denen über die Form einer Schiedsvereinbarung oder den Nachweis einer Gerichtsstandsvereinbarung.

Es kommen nicht nur weltweit geltende, sondern durchaus auch lokale (zum Beispiel für einen bestimmten Hafen geltende) Handelsbräuche in Betracht, soweit sie nur eben in den an derartigen Geschäften beteiligten Handelskreisen bekannt sind und von ihnen regelmäßig beachtet werden.

Zu Artikel 10:

Der Begriff "Niederlassung" ist ein für den Anwendungsbereich des Übereinkommens entscheidendes Kriterium. In lit. a wurden für den Fall, daß eine Person mehrere Niederlassungen hat, die Merkmale für die dann maßgebende Niederlassung festgelegt, wobei dem Gericht die Wertung des Gewichtes der einzelnen Anknüpfungen obliegt. Ob eine Niederlassung die Hauptniederlassung oder eine Zweigniederlassung ist, bleibt jedenfalls unerheblich.

Das Kriterium "Niederlassung" ist für Kaufleute gedacht. Privatpersonen haben normalerweise keine Niederlassung, auch wenn sie Kaufverträge schließen können, die keine Verbrauchergeschäfte im Sinn des Artikels 2 lit. a sind. In diesem Fall ist das entscheidende Kriterium der gewöhnliche Aufenthalt [vgl. § 66 Absatz 2 JN sowie die Definition des Aufenthaltes und des gewöhnlichen Aufenthaltes in der Empfehlung des Europarates (72) I, ÖJZ 1974, S. 144, der § 66 Absatz 2 JN neu nachgebildet ist].

Zu Artikel 11:

Schon fast seit Beginn der Arbeiten am einheitlichen Kaufrecht war von Seiten fast aller Staaten mit liberalen Handelsgrundsätzen das Postulat erhoben worden, den Kauf ausnahmslos formfrei zu stellen. Bestimmte Formen, wie sie etwa das österreichische Recht zum Schutz einzelner Arten von Behinderten, zB Tauben, die nicht lesen können, vorsieht, sind hier natürlich nicht gemeint. Vor allem aber sollte sich niemand darauf berufen können, daß eine von ihm selbst abgegebene Erklärung mangels Einhaltung einer besonderen Form unwirksam sei.

Bei der Haager Kaufrechtskonferenz 1964, bei der 22 Industriestaaten westlicher Prägung nur drei osteuropäischen Staaten (ohne UdSSR) und zwei Entwicklungsstaaten gegenübersaßen, war die Formfreiheit verhältnismäßig leicht durchzusetzen, nicht aber in Wien. Auch hier überwogen die Liberalitätsbefürworter, es war aber klar, daß man das Mittragen des Übereinkommens durch die Sowjetunion und damit auch durch die anderen Ostblockstaaten nur mit einem dem Anschein nach komplizierten, in Wirklichkeit aber bloß den Status quo festschreibenden Kompromiß erreichen konnte:

Nach Artikel 11 braucht der Kaufvertrag nicht schriftlich geschlossen oder nachgewiesen zu werden und unterliegt auch sonst keinen Formvorschriften; der Kaufvertrag kann auf jede beliebige Weise bewiesen werden, auch durch Zeugen.

Artikel 11 und ähnliche Bestimmungen in anderen Artikeln des Übereinkommens, die für zusätzliche oder abweichende Erklärungen kein Formerfordernis vorsehen, gelten aber gemäß Artikel 12 nicht, wenn eine Partei ihre Niederlassung in einem Vertragsstaat hat, der vom Vorbehalt des Artikels 96 Gebrauch gemacht, dh. die Erklärung abgegeben hat, daß alle Bestimmungen, die für den Abschluß des Kaufvertrages oder jede sonst damit zusammenhängende Willenserklärung eine andere als die schriftliche Form gestatten, nicht gelten sollen.

Daraus ergibt sich - selbstverständlich nur für Kaufverträge, die überhaupt dem Übereinkommen unterliegen - folgendes Bild:

a) Hat keine Partei ihre Niederlassung in einem Vorbehaltsstaat, so gelten die Bestimmungen des Übereinkommens über die Formfreiheit.

b) Hat eine Partei ihre Niederlassung in einem Vorbehaltsstaat, so gelten zwar die Bestimmungen des Übereinkommens über die Formfreiheit nicht, es gilt aber auch nicht das Gegenteil. Vielmehr herrscht ein Zustand, als hätte das Übereinkommen über die Form nichts gesagt. Kommt der Fall zB vor ein österreichisches Gericht, so ist § 8 IPR-Gesetz anzuwenden, dh. es ist zu prüfen, ob sowohl das Recht des Ortes der Rechtshandlung als auch das staatliche Recht, das bei Nichtvorhandensein des Übereinkommens auf den Kauf anzuwenden gewesen wäre - also entweder das von den Parteien gewählte Recht (§ 35 IPR-Gesetz) oder bei Fehlen einer Rechtswahl das Recht des Verkäuferlandes (§ 36 IPR-Gesetz) -, die Schriftform verlangen. Nur in diesem Fall der Kumulation wäre die bloß mündlich vorgenommene Rechtshandlung unwirksam.

Wie auch im österreichischen Recht (§ 884 ABGB) können die Parteien jedoch die Einhaltung einer bestimmten Form vereinbaren.

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