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Anwendungsvoraussetzungen und Anwendungsbereich des UN-Übereinkommens über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) — Teil 1

Prof. Dr. iur. Peter Schlechtriem

Veröffentlicht in:

Aktuelle Juristische Praxis 1992. S.339–357

S. 339–346, 347–353, 354–357

Recht herzlichen Dank schuldet die Redaktion von www.cisg.info Hrn. Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Schlecht (Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht Abt. 1, Direktor), (Schriftleitung der Zeitschrift "Aktuelle Juristische Praxis", Lachen, Schweiz) und Fr. Elisabeth Lauck-Ndayi (Uni Freiburg, Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht Abt. 1, Sekretariat) für die Hilfe und Unterstützung bei der Vorbereitung dieser Publikation

Vorwort *

Das am 1. März 1991 in der Schweiz in Kraft getretene UN-Übereinkommen vom 11.4.1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf ist eine bedeutende Wegscheide in der Entwicklung der Rechtsangleichung und Rechtsvereinheitlichung. Genugtuung und Freude über das Erreichte sind nicht nur gerechtfertigt wegen der grossen Zahl von Staaten, die das Übereinkommen ratifiziert haben, so dass es inzwischen für weite Bereiche des Schweizer wie auch des deutschen grenzüberschreitenden Warenverkehrs gilt, sondern auch und gerade wegen seiner oft gerühmten Verbindung von Modernität und auf gründliche Rechtsvergleichung abgestützten Bewahrung dessen, was als Kern übereinstimmender Sachlösungen in den wichtigsten Kaufrechten der Welt ausgebildet worden ist. Die wissenschaftliche Qualität dieses Regelwerks, die auch durch die Namen seiner vielen Väter von ERNST RABEL bis FRANK VISCHER verbürgt wird, erlaubt, ja gebietet aber auch eine Auseinandersetzung mit den Sachfragen der Anwendungsvoraussetzungen und des Anwendungsbereichs 1), die eine sektorale Rechtsvereinheitlichung durch ein im Wege der Parallelgesetzgebung in kraft gesetztes Uniform Law mit sich bringt, und die, wie die Erfahrungen mit den Haager Übereinkommen zur Vereinheitlichung des Kaufrechts zeigen, gerade in den ersten Jahren nach Inkrafttreten eines solchen Einheitsrechtes für Praxis und Wissenschaft bedeutsam sind.

Das Einheitliche UN-Kaufrecht steht in gewisser Weise in der Linie einer Entwicklung, die mit den gross europäischen Kodifikationen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wie dem OR und dem ZGB, dem deutschen BGB, dem österreichischen AGBG, dem Code Civil, aber auch dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch beginnt, sich im 20. Jahrhundert mit der Vereinheitlichung des Handelsrechts in den USA durch den UCC, vor allem aber auch auf internationaler Ebene durch Konventionen zum Transportrecht und den Genfer Übereinkommen zur Vereinheitlichung des Wechsel- und Scheckrechts fortsetzt. Die durchgehende Linie, die ich so zu ziehen gewagt habe, hat ihren Richtpunkt in der Überwindung der Rechtszersplitterung, zunächst, wie in

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den europäischen Nationalstaaten, in den Grenzen dieser Staaten. Im 20. Jahrhundert aber zunehmend auf regionaler oder internationaler Ebene. Die Misslichkeiten der Rechtszersplitterung für Handel und Wandel sind hier nicht im einzelnen aufzuzeigen, da wohlbekannt: unterschiedliche Ergehnisse in der rechtlichen Beurteilung und Auseinandersetzung je nach dem, wo ein Rechtsstreit ausgetragen wird und wohin das Kollisionsrecht der lex Lori führt, beunruhigen nicht nur diejenigen, die Rechtssicherheit und Gleichmässigkeit der Entscheidung eines Rechtsfalles unabhängig davon, wo er entschieden wird, als Gerechtigkeilsgebot empfinden, sondern auch den Praktiker, der an die Gefahr des Forum Shopping denken muss. Remedur wird vor allem mit zwei Rezepturen versucht: Die Unterschiedlichkeit von Sachrechten glaubt man ertragen zu können, wenn die nationalen Kollisionsrechte so vereinheitlicht werden, dass ein Fall unabhängig davon, wo er vor die Gerichte gebracht wird, jeweils nach dem gleichen Sachrecht entschieden wird. Diese Arznei wird bekanntlich bereits seit 1893 von der sog. Haager Konferenz, die zunächst eine Reihe von Haager Konferenzen war, zubereitet und gereicht; zu erinnern ist dazu nur als ein Beispiel unter vielen an das Abkommen über das auf internationale Käufe beweglicher Sachen anwendbare Recht vom 15.6.1955 und das am 30.10.1985 im Haag beschlossene, aber noch nicht in Kraft getretene Abkommen über das auf internationale Warenkäufe anwendbare Recht vom 22.12.1986 2). Demgegenüber wird die oben skizzierte Entwicklungslinie von den grossen nationalen Kodifikationen zum Wiener UN-Kaufrecht nicht nur durch das Bestreben, Kollisionsnormen für die Rechtsanwendung des nationalen Sachrechts zu vereinheitlichen, gekennzeichnet, sondern dadurch, dass man durch Vereinheitlichung des Sachrechts unterschiedliche sachliche Ergebnisse in grenzüberschreitenden Fällen je nach Forum überhaupt zu vermeiden sucht und - nach der Ansicht besonders engagierter Verfechter dieses Weges zur Rechtsvereinheitlichung - die Anwendung des IPR Idealiter ganz vermeiden kann.

Natürlich ist mir bewusst, dass der gemeinsame Nenner "Vereinheitlichung des Sachrechts" ausserordentlich klein gewählt ist, wenn er OR und ZGB, Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch, Genfer Wechsel- und Scheckrecht, Wiener UN-Kaufrecht und - um den Kreis der Regelungen, die Angleichung oder Vereinheitlichung des materiellen Rechts anstreben, um einen gerade für Schweizer Leser z.Zt. vielleicht besonders interessanten Zirkelschlag zu erweitern - EG-Richtlinien wie z.B. die 1985 verkündete Produkthaftungsrichtlinie oder die z.Zt. in Arbeit befindliche Richtlinie zur Haftung von Dienstleistungsberufen umfassen soll. Denn die strukturellen Unterschiede der hier nur beispielsweise angeführten Regelungen sind gewaltig: Deutsches BGB und Schweizer OR/ZGB sind Einheitsrecht aufgrund einer Gesetzgebungskompetenz zentraler Gesetzgebungsinstanzen, während z.B. das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 nur ein Einheitsgesetz war, das von den Staaten des Deutschen Bundes aufgrund je eigener Gesetzgebungskompetenz eingeführt worden ist. Im einzelnen kann man für Rechtsvereinheitlichung oder Rechtsangleichung dort, wo eine Gesetzgebungskompetenz fehlt, drei Möglichkeiten unterscheiden: Zum einen kann eine zwischenstaatliche Instanz, aber auch eine private Organisation ein Modellgesetz erarbeiten und einer Gruppe von Staaten zur Annahme empfehlen, ohne dass diese in irgendeiner Weise zur Einführung verpflichtet wären. Einheitsrecht kann aber auch in zwischenstaatlichen Übereinkommen erarbeitet und beschlossen werden, die die beteiligten Staaten verpflichten, das Einheitsrecht durch ihre Gesetzgebungsorgane in Kraft setzen zu lassen, wobei solche Übereinkommen natürlich einen Vorbehalt der Zustimmung durch den nationalen Gesetzgeber enthalten. Als dritte Möglichkeit ist hier noch die EG-Richtlinie zu nennen, die eine gesetzliche Regelung enthält, die in Abstimmung mit den Regierungen der EG-Staaten von der Brüsseler Kommission erarbeitet worden ist und mit der Wirkung erlassen wird, dass die Staaten sie innerhalb einer bestimmten Frist in nationales Recht umsetzen müssen; auf die Einzelheiten des Streits, inwieweit und wem gegenüber bei unterbliebener Umsetzung in nationales Recht eine Direktwirkung solcher Richtlinien besteht, ist hier nicht einzugehen.

Man könnte noch weitere Unterschiede dieser zwar auf der gleichen, von mir aufgezeigten Linie liegenden, in sich aber recht verschiedenen Wege zur Rechtsvereinheitlichung aufzeigen, etwa, ob die Rechtsvereinheitlichung das Sachrecht nur für rein interne Vorgänge betrifft wie in den Genfer Wechsel- und Scheckrechtsübereinkommen, so dass bei grenzüberschreitenden Fällen doch zunächst wieder das IPR befragt werden muss - das freilich im Regelfall zu einem verbal gleichen ausländischen Recht führen wird -, oder ob Einheitsrecht nur für bestimmte grenzüberschreitende Sachverhalte geschaffen wird wie das hier zu behandelnde UN-Kaufrecht. Diese letztere Möglichkeit der Vereinheitlichung (nur) der Rechtsregeln für bestimmte grenzüberschreitende Transaktionen, wie vor allem in den Transportrechtskonventionen geschehen, wirft unvermeidlich die beiden Sachfragen auf, die ich in meinem Referat behandeln möchte:

Zum einen muss ein solches, nur bestimmte grenzüberschreitende Vorgänge einheitlich regelndes Recht diese Vorgänge und damit seine Anwendungsvoraussetzungen genau bezeichnen. Zum anderen muss es, da es ja nur eine sektorale Regelung bringt, die Grenzen des einheitlich geregelten Sektors, d.h. seinen Geltungsbereich in Abgrenzung zu dem ausserhalb dieses Geltungsbereichs

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über Kollisionsrecht berufenen nationalen Sachrecht möglichst genau bezeichnen 3).

Der Umstand, dass Rechtsvereinheitlichung durch völkerrechtliche Übereinkommen nicht das ganze Zivilrecht, sondern nur Ausschnitte, die bestimmte Vorgänge regeln, vereinheitlichen kann, führt zu erheblichen Problemen. Ein Beispiel mag hier als Illustration und Ausgangsfall für die folgenden Ausführungen dienen:

Eine in der Rechtsform einer AG organisierte Gesellschaft in Basel kauft von einer deutschen, in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft organisierten Handelsgesellschaft eine Maschine: die Schweizer AG wird dabei von einem Prokuristen, die deutsche Gesellschaft von einem Gesellschafter vertreten. Nach den Lieferbedingungen der deutschen Verkäuferin soll "deutsches Recht" anwendbar sein. Die deutsche KG kauft ihrerseits diese Maschine von der englischen Herstellerin und vereinbart mit ihrer Lieferantin, dass direkt an die Schweizer Käuferin geliefert werden solle. Das geschieht, aber die Maschine hat Mangel, die zu einem Brand führen. Dadurch werden Arbeitnehmer verletzt, Anlagen der Basler AG beschädigt, es entsteht Betriebsausfallschaden usw. Zu untersuchen sind Ansprüche gegen die deutsche Verkäuferin und die englische Herstellerin. In Betracht kommen Einheitskaufrecht einerseits, nationales Produkthaftungsrecht andererseits. Für letzteres - etwa bei Inanspruchnahme der englischen Herstellerin wegen der Körperverletzungen, die der Mangel der Maschine verursacht hat, - ist zunächst IPR zu befragen, welches Recht für die produkthaftungsrechtlichen Fragen massgebend ist. Für die kaufrechtlichen Fragen hoffen wir auf Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts. Aber erste Kopfschmerzen verursacht uns schon die Klausel in den Lieferbedingungen der deutschen Verkäuferin, wonach auf den Kaufvertrag "deutsches Recht" anzuwenden ist. Auch beruft sich die deutsche Verkäuferin darauf, dass der Vertrag von einem dazu nicht befugten Kommanditisten abgeschlossen worden und deshalb völlig unwirksam sei. Im übrigen hafte man nicht für die englische Herstellerin. Finden wir zu diesen drei Fragen Antworten im Einheitskaufrecht?

Zweifellos handelt es sich doch um einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang "Kauf, Lieferung und Schadensverursachung durch den gelieferten Gegenstand", für den man von einem einheitlichen Kaufrecht eine alle Details abdeckende Regelung erwartet.. Aber die Anwendung des UN-Kaufrechts auf unseren Fall führt nicht nur zur Ernüchterung, sondern auch zu zwei Grundfragen:

1. Zunächst führt die Rechtswahlklausel zugunsten deutschen Rechts, über deren Gültigkeit und Zulässigkeit ich noch nichts sagen möchte, zur Frage, wie das Einheitskaufrecht überhaupt berufen wird: Bedarf es einer Rechtswahl durch die Parteien? Ist das Einheitskaufrecht auch ohne Rechtswahl, dann aber nur über kollisionsrechtliche Normen berufen, setzt es also voraus, dass das IPR des Forums zum Recht eines Staates führt, in dem das Einheitskaufrecht gilt? Oder legt das Einheitsrecht die Voraussetzungen seiner Anwendung selbst - autonom - fest? Alle drei Lösungen sind möglich und finden sich im Verlauf der Entwicklung von Einheitskaufrecht:

Die sog. Haager Kaufrechtsübereinkommen aus dem Jahre 1964 enthielten einen Vorbehalt, nach dem ein Staat, bei Einführung der einheitlichen Kaufgesetze ihre Anwendung von einer Wahl durch die Parteien abhängig machen konnte; England hat von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, dass Einheitskaufrecht nur aufgrund einer Berufung durch vorgeschaltete IPR-Normen gilt, ist noch zu den Haager Kaufrechten heftig umstritten gewesen und hat ebenfalls zu einer entsprechenden Vorbehaltsmöglichkeit geführt, die beispielsweise von Belgien und Italien genutzt worden war. Sie bedeutete, dass beide Staaten in den Fällen, die vom Haager IPR-ÜBereinkommen für Warenkäufe aus dem Jahre 1955 erfasst wurden, das Einheitskaufrecht nur anwendeten, wenn die Rechtsordnungen eines Vertragsstaates aufgrund dieses IPR-Übereinkommens berufen war 4). Durchgesetzt hat sich für die Haager Kaufrechtsübereinkommen aus dem Jahre 1964 wie für das Wiener UN-Kaufrecht jedoch die Dritte Lösung, dass das Einheitsrecht die Voraussetzungen seiner Anwendung selbst und autonom bestimmt. Als Restbestand einer Vorschaltlösung könnte man Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG sehen, da er Anwendung des Einheitskaufrechts aufgrund kollisionsrechtlicher Verweisung ermöglicht; tatsächlich hat diese Bestimmung jedoch eine andere Funktion (s. unten nach Fn. 17). Diese "einheitlichen Anwendungsregeln behandeln also - entsprechend der Funktion des Einheitsrechts - die Gesamtheit der Vertragsstaaten als ein einziges, einheitliches Rechtsanwendungsgebiet", und sie haben "Vorrang vor den allgemeinen Regeln des nationalen (oder des staatsvertraglich vereinheitlichten) internationalen Privatrechts" 5). Ob man deshalb in diesen Anwendungsnormen einseitige Kollisionsnormen sieht, wie es der deutsche Bundesgerichtshof für Art. l EKG getan hat, kann hier offen bleiben 6).

2. Die nur sektorale Regelung des Einheitskaufrechts ordnet den Anwendungsnormen des Einheitsrechts aber

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auch noch die weitere Funktion zu, den sachlichen Anwendungsbereich des Einheitsrechtes zu bestimmen 7). Die Anwendungsnormen entscheiden insoweit den Konflikt, der sich aus der Koexistenz international vereinheitlichten und internen Rechts für bestimmte Vorgänge ergibt, also eine Kollision von Sachnormen 8): Soweit das Einheitskaufrecht gilt, haben nationale Sachnormen zurückzutreten. Aber eben nur "soweit": Da das Einheitskaufrecht die in unserem Beispielsfall angeschnittenen Fragen der wirksamen Vertretung der beteiligten Gesellschaften nicht entscheidet, bleibt es insoweit bei dem über IPR berufenen nationalen Sachrecht.

Nur beiläufig anzumerken ist die Beobachtung, dass die mitunter schwierige Frage, wo genau die Grenze zwischen vereinheitlichtem und unvereinheitlichtem Sachrecht verläuft, sich in ähnlicher Form stellen würde, wenn das vereinheitlichte Sachrecht nicht aufgrund autonomer Anwendungsnormen, sondern aufgrund vorgeschalteten Kollisionsrechts berufen oder wenn überhaupt unvereinheitlichtes Recht aufgrund IPR-Verweisungen anzuwenden wäre: Die Abgrenzungsfrage würde sich dann teils als Qualifikationsfrage, teils als Problem der Sonderanknüpfung von Teilfragen stellen. Ob Körperverletzung durch Mangelhaftigkeit einer verkauften Sache von einer Verweisungsnorm des IPR auf das Kaufrecht eines bestimmten Staates erfasst wird oder vielmehr in den Regelungsbereich deliktischer Kollisionsnormen gehört, ist zunächst eine Qualifikationsfrage. Ob die wirksame Vertretung einer Kaufvertragspartei nach dem Vertragsstatut zu beurteilen oder gesondert anzuknüpfen ist, gehört zum bekannten Problem der Vor- oder Teilfragen.

Beide Fragen - Voraussetzungen der Anwendung und der durch die Anwendungsnormen bestimmte Geltungsbereich - sind mein heutiges Thema.

A. Anwendungsvoraussetzungen

1. Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG

Da das Wiener UN-Kaufrecht nur für "internationale" Warenkäufe gelten soll, setzt die grundlegende Anwendungsnorm des Art. 1 CISG 9) für seine Anwendung zunächst als - einziges - "internationales" Merkmal voraus, dass die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben, sofern diese Vertragsstaaten sind. Auf weitere Qualifikationen der "Internationalität", wie sie noch die Haager Kaufgesetze vorsahen, hat man verzichtet 10).

Bei mehreren Niederlassungen entscheidet die Niederlassung mit dem engsten Bezug zum Vertrag und seiner Erfüllung. Art. 10 lit. a CISG; bei fehlender Niederlassung einer Partei ist ihr gewöhnlicher Aufenthalt massgebend, Art. 10 lit. b CISG. Da die Verschiedenheit der Niederlassungen in zwei Vertragsstaaten einzige "internationale" Voraussetzung für die Anwendung des Einheitskaufrechtes ist, muss dieser Auslandsbezug aus den Verhandlungen der Parteien oder aus von ihnen gegebenen Informationen ersichtlich sein, Art. 1 Abs. 2 CISG 11). Er kann deshalb z.B. fehlen, wenn ein Vertrag zwischen Schweizer Parteien in der Schweiz geschlossen wird, von denen eine ihren Betrieb und ihre Geschäftsniederlassung in der Bundesrepublik hat und erst nach Vertragsschluss den Verkäufer anweist, dorthin zu liefern. Keine Bedeutung hat die Nationalität der Parteien: Selbst wenn beide Parteien die gleiche Nationalität haben oder die in der Schweiz, niedergelassene Partei englischer Staatsangehöriger ist, also einem Nichtvertragsstaat angehört, und mit einem in der Bundesrepublik niedergelassenen Belgier kontrahiert - auch Belgien ist noch nicht Vertragsstaat -, gilt das Einheitskaufrecht, Art. 1 Abs. 3

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CISG. Auch kommt es nicht darauf an, ob die Parteien Kaufleute sind, Art. 1 Abs. 3 CISG. Erfasst werden deshalb auch grenzüberschreitende Kaufverträge, etwa von Freiberuflern oder Gewerbetreibenden, die nicht Kaufleute sind. Eine noch zu behandelnde Ausnahme betrifft freilich reine Privat- oder Konsumentenkäufe.

Bei Abschluss des ÜBereinkommens im Jahre 1980 in Wien sah man für den Begriff "Vertragsstaaten", in denen die Parteien eines Kaufgeschäfts niedergelassen sein müssen, wohl keine Schwierigkeiten 12): Vertragsstaat ist ein Staat, in dem das Übereinkommen durch Ratifikation oder Beitritt in Geltung gesetzt worden ist 13). Die Umwälzungen im Osten haben freilich insoweit Probleme verursacht, an die die Väter des Einheitskaufrechts noch nicht gedacht haben. Eine erste Schwierigkeit entstand bereits mit dem Untergang der ehemaligen DDR. Sie hatte das UN-Kaufrecht bereits mit Wirkung zum 1. März 1990 ebensowie das sog. UN-Verjährungsübereinkommen 14) in kraft gesetzt, während es für die Bundesrepublik Deutschland erst am 1. Januar 1991 in Kraft getreten ist. Aufgrund des sog. Einigungsvertrages trat mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 jedoch nahezu das gesamte Recht der DDR ausser Kraft und wurde durch das Recht der Bundesrepublik ersetzt. Für völkerrechtliche Übereinkommen der DDR enthält Art. 12 des Einigungsvertrages die etwas kryptische Regel, dass sie "unter den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes, der Interessenlage der beteiligten Staaten und der vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland (...) mit den Vertragspartnern der Deutschen Demokratischen Republik zu erörtern sind, um ihre Fortgeltung, Anpassung oder ihr Erlöschen zu regeln beziehungsweise festzustellen." Alsbald entstand ein hier nicht in Details darstellbarer Streit darüber, ob das UN-Kaufrechtsübereinkommen und das UN-Verjährungsübereinkommen mit dem Untergang der DDR erloschen seien oder fortgelten 15). Nach herrschender Ansicht sind sie mit dem 3. Oktober entfallen, so dass in der Zeit vom 3. Oktober bis zum 31. Dezember 1990 im Gebiet der ehemaligen DDR für grenzüberschreitende Käufe das in der Bundesrepublik noch geltende Haager Einheitskaufrecht massgeblich war und erst seit dem 1. Januar 1991 einheitlich für die gesamte Bundesrepublik Deutschland das UN-Kaufrecht gilt 16).

Während die Fragen aus dem Untergang eines Vertragsstaates und seiner Aufnahme durch einen anderen Vertragsstaat im Falle Bundesrepublik/DDR vergleichsweise geringfügig und lösbar sind, dürften aus dem umgekehrten Vorgang des Zerfalls eines Vertragsstaates bisher kaum behandelte Probleme entstehen: Die ehemalige UdSSR hatte das Übereinkommen ratifiziert; es sollte am 1. September 1991 in Kraft treten. Da das staatsrechtliche Schicksal der alten Sowjetunion aber ungewiss ist, kann man schon tragen, ob am 1. September 1991 überhaupt noch völkerrechtliche Verträge und Gesetze der Sowjetunion für das Gebiet der UdSSR insgesamt in Kraft treten konnten. Vor allem aber stellt sich die Frage, ob auch die selbständig gewordenen Republiken, etwa die baltischen Republiken, jetzt als Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR Vertragsstaaten geworden sind oder ob es einer neuerlichen Ratifikation bzw. eines Beitritts durch sie bedarf. Eine Erleichterung ist es da zu wissen, dass die Ukraine und Weissrussland selbst ratifiziert haben und in diesen beiden Republiken das Einheitskaufrecht bereits am 1. Februar 1991 (Ukraine) bzw. 1. November 1990 (Weissrussland) in Kraft getreten ist. Die Beurteilung der Völkerrechtler hinsichtlich der Verbindlichkeit der von einem Staat geschlossenen völkerrechtlichen Verträge für die aus seinem Zerfall oder durch Abspaltung hervorgegangenen Teilstaaten ist unsicher und kann hier nicht dargestellt werden, zumal es mir an völkerrechtlicher Kompetenz fehlt. Nach der freilich nicht ratifizierten Wiener Konvention über Staatennachfolge von 1978 sowie nach Ansicht bedeutender Völkerrechtswissenschaftler treten jedoch die Nachfolgestaaten automatisch in die völkerrechtlichen Verträge des früheren Zentral Staates ein, und die aufgrund völkerrechtlicher Vertrage in kraft gesetzten zivilrechtlichen Normen gelten so lange fort, bis der selbständig gewordene Teilstaat sie aufhebt oder durch andere Normen ersetzt 17). Ob und

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in welchen Republiken der ehemaligen UdSSR so etwas schon geschehen ist, ist von hier aus nicht zu beurteilen. Für jeden Kaufmann, der Verträge mit Partnern in einer der mehr oder weniger selbständig gewordenen Republiken der (ehemaligen) UdSSR abschliesst, empfiehlt es sich angesichts der unsicheren Rechtslage, nicht auf die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG zu vertrauen, sondern durch eine eindeutige und unangreifbare Rechtswahlklausel sicherzustellen, dass entweder das Einheitskaufrecht oder Schweizer Recht gilt.

2. Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG

Nach Art. I Abs. 1 lit. b CISG findet das Einheilskaufrecht auch dann Anwendung, wenn

a) die Parteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben 18) und

b) die Regeln des internationalen Privatrechts des Forumstaates zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates führen 19).

Beispiele:

Vertrag zwischen einer Schweizer Verkäuferin und einer japanischen Käuferin, der von einem Schweizer Gericht zu beurteilen ist. Artt. 117f. des Schweizer IPR-Gesetzes verweisen auf Verkäuferrecht, d.h. Schweizer Recht. Anzuwenden ist nicht das OR, sondern das Einheitskaufrecht, da die Schweiz Vertragsstaat ist. Vertrag zwischen einer italienischen Verkäuferin und einer englischen Käuferin; vereinbart ist ein Schweizer Gerichtsstand und Anwendung Schweizer Rechts. Die Rechtswahl der Parteien wird von Art. 116 des Schweizer IPR-Gesetzes respektiert. Wegen des in der Schweiz geltenden Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG gilt folglich das Einheitskaufrecht.

Falls im ersten Beispiel der Fall vor ein japanisches Gericht kommt und japanisches IPR ebenfalls auf Schweizer Recht verweist, müsste auch das japanische Gericht bereits das UN-Kaufrecht anwenden 20). So haben etwa deutsche Gerichte auch schon vor Inkrafttreten des Einheitskaufrechts aufgrund IPR-Verweisung auf das Recht eines Vertragsstaates mehrfach Einheitskaufrecht als Recht dieses Vertragsstaates angewendet.

Ob im Falle einer Anwendbarkeit des Rechts eines Vertragsstaates aufgrund einer Rechtswahlklausel das Einheitskaufrecht überhaupt (mit-)berufen wird, ist in der Literatur umstritten. Teilweise wird vertreten, dass nur im Falle einer objektiven Anknüpfung - z.B. wie nach Schweizer und deutschem IPR an den Sitz des Verkäuers - Raum für eine Anwendung des CISG und seines Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG sei. M.E. liegt insoweit eine unzulässige Vermengung mit einer anderen Sachfrage vor, die in der Zeit nach dem Inkrafttreten des Haager Einheitlichen Kaufrechts (EKG) die deutschen Gerichte oft beschäftigt hat: Eine Rechtswahlklausel, die nur auf "deutsches" Recht verweist, ohne dabei deutlich zu machen, ob die gesamte deutsche Rechtsordnung oder nur das interne Kaufrecht des BGB gemeint ist, könnte Anlass zu Zweifeln gehen, ob sie auch eine Verweisung auf das Einheitskaufrecht umfasst. Da aber das Einheitskaufrecht Teil der Rechtsordnung ist, auf die eine solche weitgefasste Rechtswahlklausel verweist 21), muss es grundsätzlich auch anwendbar sein. Deshalb können in einem solchen Fall auch keine Zweifel aufkommen, dass bei Verweisung auf das Recht eines Vertragsstaates, der Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG in Geltung gesetzt hat, diese Vorschrift zu beachten und das CISG auch dann anzuwenden ist, wenn die andere Partei in einem Nichtvertragsstaat niedergelassen ist. Die Auslegung der Rechtswahlklausel - und erst recht natürlich ein entsprechend eindeutiger Wortlaut - können aber ergeben, dass die Parteien nicht die gesamte Rechtsordnung des Staates, dessen Recht anwendbar sein soll, gemeint haben, sondern nur dessen internes Kaufrecht 22). Insoweit läge dann ein nach Art. 6 CISG zulässiger Ausschluss der Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts vor, und natürlich kann es dann in einem solchen Fall auch nicht mehr zur Anwendbarkeit des Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG kommen.

Die durch Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG zusätzlich eröffnete Möglichkeit einer Anwendung des Einheitskaufrechts hatte bei den Vorarbeiten und in Wien zu lebhaften Kontroversen geführt 23); als Kompromiss hat man eine Vorbehaltsmöglichkeit in Art. 95 CISG aufgenommen, die eine Übernahme des Einheitskaufrechts ohne den umstrittenen Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG ermöglicht. Von dieser Vorbehaltsmöglichkeit haben z.B. die Volksrepublik China, die Tschechoslowakei und die USA Gebrauch gemacht.

Bei den Kontroversen um Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG lassen sich m.E. drei Ebenen unterscheiden, ohne dass ich es hier wagen würde, die Diskussion im einzelnen nachzeichnen zu wollen. Zunächst ging es bei den Beratungen

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und geht es heute für Staaten, die einen Beitritt zum Übereinkommen und eine Nutzung der Vorbehaltsmöglichkeit erwägen, um die Zweckmässigkeit einer solchen Regelung. So wurde etwa von einein Vertreter der deutschen Delegation - die freilich im Ergebnis für Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG gestimmt hat - eingewandt, dass Vertragsstaaten mit der Anwendung des Einheitskaufrechts aufgrund einer IPR-Verweisung auf ihr Recht, im Falle, dass nicht nur Parteien aus Vertragsstaaten involviert sind, den Angehörigen von Nichtvertragsstaaten mehr - d.h. die Anwendung von Einheitskaufrecht - gewähren würden als ihnen von ihrem eigenen Staat gewährt wird. Man hat also in meinem obigen Beispiel bemängelt, dass bei einem schweizerisch-japanischen Kaufvertrag bei Massgeblichkeit Schweizer Rechts Einheitskaufrecht gelte, obwohl Japan das Übereinkommen nicht in Kraft gesetzt habe und es bei Massgeblichkeit japanischen Rechts nicht angewendet wird. Schwerer wiegt schon die Sorge, dass es zu divergierenden Entscheidungen kommen kann: Wenn in meinem obigen Beispiel Nr. 1 der Fall vor ein japanisches Gericht käme und japanisches IPR auf japanisches Kaufrecht verwiese, von einem Schweizer Gericht aber CISG als Verkäuferrecht anzuwenden ist, dann wurde je nach Forum Einheitskaufrecht oder internes Kaufrecht auf den Fall angewendet. Aber der Stein des Anstosses ist hier nicht Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG, sondern die Divergenz kollisionsrechtlicher Lösungen 24): Auch wenn die Schweiz Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG nicht eingeführt hätte, würden divergierende Kaufrechte angewendet. Ein weiteres Argument verweist schliesslich darauf, dass bei einem Kaufvertrag zwischen zwei Parteien aus Nichtvertragsstaaten, der vom IPR des Forums dem Recht eines Vertragsstaates unterstellt wird, Parteien mit der Anwendung des Einheitskaufrechts "überfallen" würden, mit dem sie nie gerechnet hätten. Als Beispiel mag der bereits erwähnte englisch-japanische Kaufvertrag gelten, der vor ein Schweizer Gericht kommt und aufgrund einer Rechtswahlklausel schweizerischem Recht zu unterstellen ist. Solche Fälle dürften nicht eben häufig sein, da es bei in Nichtvertragsstaaten niedergelassenen Parteien zumeist zu einer Gerichtszuständigkeit in einem Nichtvertragsstaat kommen und eine Verweisung durch dessen IPR auf das Recht eines Vertragsstaates dann regelmässig fehlen dürfte. Überhaupt dürfte eine IPR-Verweisung auf das Recht eines Vertragsstaates, obwohl beide Parteien in Nichtvertragsstaaten niedergelassen sind, höchst selten sein. Kommt es zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates aufgrund einer Rechtswahlklausel, dann wird man zur Auslegung einer solchen Klausel bei fehlender Beziehung der Parteien zu einem Vertragsstaat und damit zum Einheitskaufrecht vielleicht an eine Rechtswahl des internen Sachrechts denken dürfen, die einen Ausschluss des Einheitskaufrechts bedeutet 25).

Ein zweiter Fragenkreis betrifft die Rechtsnatur des Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG, eine freilich eher theoretische Problematik. Man streitet, ob es sich um eine IPR-Norm handelt 26) oder um eine Verteilungsnorm des internen Rechts. M.E. ist nur die letztere Auffassung vertretbar 27): Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG schafft nicht selbst internationales Privatrecht, sondern setzt seine Anwendung - wie schon der Wortlaut deutlich macht: - voraus. Erst wenn aufgrund des internationalen Privatrechtes des Forumstaates eine Verweisung auf das Recht eines Vertragsstaates ausgesprochen wird, kommt diese Norm ins Spiel. Sie regelt dann als Vorschrift des Schweizer, deutschen, französischen usw. Rechts für diese jeweiligen Rechtsordnungen die Frage, ob Einheitskaufrecht oder internes Kaufrecht anzuwenden ist. Sie hat deshalb die gleiche Funktion wie z.B. Vorschriften, die den Anwendungsbereich der Regeln des Handelskaufs gegen den Anwendungsbereich der für alle geltenden Kaufrechtsvorschriften abgrenzen. Natürlich kann man auch insoweit von einer Kollisionsnorm sprechen, die bei verschiedenen Sachnormen mit dem gleichen Regelungsbereich klärt, wann und unter welchen Voraussetzungen die eine und wann die andere Regelung anwendbar ist.

Die dritte und wohl für die Praxis wichtigste Frage entsteht, wenn das IPR des Forumstaates auf das Recht eines Vertragsstaates verweist, der von der Vorbehaltsmöglichkeit des Art. 95 CISG Gebrauch gemacht und Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG nicht in Kraft gesetzt hat, also z.B. die USA, die Volksrepublik China oder die Tschechoslowakei. Unproblematisch ist freilich der Fall, dass die Parteien ihre Niederlassung jeweils in Vertragsstaaten haben, von denen einer ein Vorbehaltsstaat ist, also etwa bei einem Kaufvertrag zwischen einer tschechoslowakischen und einer Schweizer Firma. Hier kommt man gar nicht mehr zu Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG und zur Anwendung von internationalem Privatrecht, da Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG vorgeht und die Anwendung des Einheitskaufrechtes anordnet. Das gleiche würde gelten, wenn ein Vertrag zwischen einer deutschen und einer tschechoslowakischen Partei vor ein Schweizer Gericht käme -nicht IPR und eines der in Betracht kommenden internen Kaufrechte, sondern Einheitskaufrecht wäre anzuwenden, da beide Parteien in Vertragsstaaten niedergelassen sind und die Schweiz das UN-Kaufrecht in Kraft gesetzt hat. Problematisch ist nur der Fall, dass eine Partei in einem Nichtvertragsstaat und die andere in einem Vorbehaltsstaat niedergelassen ist, also etwa ein Kaufvertrag zwischen einer japanischen und einer tschechoslowakischen Partei vorliegt und das IPR des Forumstaates auf das Recht des Vertrags-(vorbehalts-)staates verweist, z.B. ein Schweizer Gerichtsstand vereinbart war und Schweizer IPR auf tschechoslowakisches Recht als Verkäufer-

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-recht verweist. Diese Konstellation hat viel Kopfzerbrechen verursacht, lässt sieh aber m.E. folgerichtig und glatt lösen, wenn man den hier vertretenen Ansatz billigt, dass Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG eine Verteilungsnorm des internen Sachrechts der Vertragsstaaten ist, die sie eingeführt haben. Fehlt eine solche Verteilungsnorm im Recht eines Vertragsstaates, weil dieser von seiner Vorbehaltsmöglichkeit nach Art. 95 CISG Gehrauch gemacht hat, und will er auf grenzüberschreitende Warenkäufe, die aufgrund IPR-Verweisung seinem Kaufrecht unterliegen, das Einheitskaufrecht nur anwenden, wenn die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG gegeben sind, nicht aber, falls eine der Parteien (oder beide) ihre Niederlassung nicht in einem Vertragsstaat hat (haben), dann muss auch das Gericht in einem anderen Staat diese Entscheidung befolgen 28). Der tschechoslowakische Richter würde bei Massgeblichkeit tschechoslowakischen Rechts im Falle eines Kaufvertrages zwischen einer tschechoslowakischen und einer japanischen Firma also nicht Einheitskaufrecht anwenden. Die Entscheidung des tschechoslowakischen Rechts muss auch ein Schweizer Gericht beachten, falls sein IPR die Anwendung tschechoslowakischen Rechts gebietet. Diese Lösung hat der deutsche Gesetzgeber in Art. 2 des sog. Vertragsgesetzes normiert, wobei diese Norm nach meiner Auffassung lediglich klarstellt, was auch ohne sie gelten würde 29).

Falls das Kollisionsrecht des Forums für Vertragsschluss und Vertragsinhalt auf verschiedene Rechtsordnungen verweist und nur eine davon das UN-Kaufrecht übernommen hat, kommt es nur teilweise zur Anwendung 30): Wird für den Vertragsschluss auf Japanisches Recht, für Rechte und Pflichten der Kaufvertragsparteien auf Schweizer Recht verwiesen, dann hat das Gericht nur Teil I und III des Übereinkommens anzuwenden, nicht aber Teil II; für den Vertragsschluss bleibt es beim japanischen ZGB 31).

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Fussnoten

* Vortrag, gehalten am 18.10.1991 im Rahmen des Weiterbildungsprogramms "Das UN-Kaufrecht (CISG)", veranstaltet von der Juristischen Fakultät der Universität Basel und dem Basler Juristenverein. Die Vortragsform wurde beibehalten.

1) Aus der Lit. s. zunächst B. CZERWENKA, Rechtsanwendungsprobleme im internationalen Kaufrecht, Berlin 1988; U. DROBNIG, Anwendungsnormen in Übereinkommen zur Vereinheitlichung des Privatrechts, in: FS VON OVERBECK, Fribourg 1990, 15-30; R. HERBER, Anwendungsbereich des UNCITRAL-Kaufrechtsübereinkommens, in: P. DORALT (Hrsg.), Das UNCITRAL-Kaufrecht im Vergleich zum österreichischen Recht, Symposium in Baden bei Wien, 17.-l9.4.1983, Wien 1985, 28-45; DERSELBE, Anwendungsvoraussetzungen und Anwendungsbereich des Einheitlichen Kaufrechts, in: P. SCHLECHTRIEM (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, Baden-Baden 1987. 97-105; H. HOYER, Der Anwendungsbereich des UNCITRAL-Einheitskaufrechts, WiRechtBl. 1988, 70-72; R. LOEWE, Anwendungsgebiet, Auslegung, Lücken, Handelsgebräuche, in: Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung (Hrsg.), Wiener Übereinkommen von 1980 über den internationalen Warenkauf, Zürich 1985, 11-20; H. PÜNDER, Das Einheitliche UN-Kaufrecht - Anwendung kraft kollisionsrechtlicher Verweisung nach Art. 1 Abs. 1 lit. b UN-Kaufrecht, RIW 1990, 869-873; K. SIEHR, Der internationale Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts, RabelsZ 52 (1988), 587-616; P. VOLKEN, Champ d'application, interpretation, lacunes, usages, in: Schweizerisches Institut für Rechtsvereinheitlichung (HRSG), Wiener Übereinkommen von 1980 über den internationalen Warenkauf, Zürich 1985, 21-33

2) Datum der ersten Zeichnung.

3) Zum nicht ganz einheitlichen Gebrauch der beiden Begriffe "Geltungsbereich" und "Anwendungsbereich" s. grundlegend jetzt DROBNIG (FN1), 15 ff., der teilweise eine andere Terminologie vertritt: In Anlehnung an P. H. NEUHAUS definiert er den "Geltungsbereich" einer Rechtsordnung als "Bereich ihrer Verbindlichkeit als lex fori" und den "Anwendungsbereich" als die Gesamtheit der Fälle, in denen eine Vorschrift "als lex Causae;" massgebend sein soll (17).

4) Vgl. R. HERBER in: H. DÖLLE (Hrsg.), Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht, München 1976, vor Artt. 1-8 EKG Rn. 12. 5) DROBNIG (Fn. 1), 24.

6) BGHZ 96, 313,316; dazu DROBNIG; (Fn. 1), 25 ff.

7) Zu dieser Doppelfunktion und den unterschiedlichen dogmatischen Einordnungen der Rechtsnatur entsprechender Anwendungsnormen s. DROBNIG; (Fn. 1), 27 f.

8) Vgl. zu den besonderen Kollisionsschwierigkeiten für das französische Recht F. NIGGEMANN, die Bedeutung des Inkrafttretens des UN-Kaufrechts für den deutsch-französischen Wirtschaftsverkehr, RIW 1991, 372-378.

9) Sobald die im folgenden genauer darzustellenden Merkmale dieser Anwendungsnorm erfüllt sind, kann der Verkäufer davon ausgehen, nur den kaufrechtlichen Rechtsbehelfen des CISG ausgesetzt zu sein. Etwas Anderes könnte jedoch im Rechtsverkehr mit Frankreich gelten. Das französische Vertragsrecht gewährt dem Nacherwerber nämlich einen direkten Sachmängelanspruch gegen jeden Vorverkäufer der Sache. Verkauft z.B. ein Schweizer Unternehmen an ein französisches Unternehmen (Kaufvertrag nach CISG) und dieses weiter an einen französischen Endabnehmer, so kann der Endabnehmer nach französischem Recht seine Gewährleistungsansprüche direkt gegen den Schweizer Verkäufer einklagen. Falls die französischen Gerichte davon ausgehen sollten, dass dieses Durchgriffsrecht des Endabnehmers aus seinem eigenen, nach französischem Recht zu beurteilenden Kaufvertrag erwächst und nicht als blosses "Zubehör" der in der Schweiz gekauften Ware anzusehen ist, sähe sich der Schweizer Verkäufer französischen Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt. Das UN-Kaufrecht wäre ausgehebelt. Anlass, eine solche Umgehung des Art. 1 CISG durch die französischen Gerichte zu befürchten, gibt eine Vorlageentscheidung des französischen Kassationshofs, vgl. P. KLIMA, Anwendbarkeit des Art. 5 EuGVÜ auf Sachverhalte mit mehreren aufeinanderfolgenden Käufern, RIW 1991, 415 f.

10) Nach Art. 1 EKG waren weitere objektive Kriterien erforderlich, nämlich dass die verkaufte Sache aus dem Gebiet eines Staates in das Gebiet eines anderen Staates befördert werden sollte oder dass Angebot und Annahme "grenzüberschreitend", d.h. im Gebiet verschiedener Staaten, vorgenommen worden waren oder dass die Lieferung der Sache in einem anderen als dem Staat erfolgen sollte, in dem der Vertragsschluss stattgefunden hatte.

11) Vgl. hierzu näher B. AUDIT, La vente internationale de marchandises, Paris 1991, 19 f.

12) Vgl. R. LOEWE, Internationales Kaufrecht, Wien 1989, Art. 1 CISG, 21: "... diese Voraussetzung ist relativ einfach".

13) Ungenau R. HERBER in: E. v. CAEMMERER/P. SCHLECHTRIEM (Hrsg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, München 1990, Art. 1 CISG Rn. 32, wonach Vertragsstaat jeder Staat sei, der ratifiziert habe oder beigetreten sei. Da zwischen Ratifikation und Inkrafttreten mindestens 12 Monate liegen, vgl. Art. 99 Abs. 2 CISG, gilt das Übereinkommen noch nicht mit Ratifikation und ist deshalb ein ratifizierender Staat damit allein noch nicht Vertragsstaat.

14) S. Bekanntmachung zur Konvention der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.4.1980, GBl. II 1989, 65; Bekanntmachung zur Konvention über die Verjährung beim internationalen Warenkauf vom 14.6.1974 und zum Protokoll zur Aenderung der Konvention über die Verjährung beim internationalen Warenkauf vom 11.4.1980, GBl. II 1989,201.

15) Vgl. hierzu einerseits R. HERBER, Deutsche Einheit und internationales Kaufrecht, Beilage 37 zu Heft 30/1990 BB, 1, 3 f.; andererseits P. ENDERLEIN, Inkrafttreten des UN-Kaufrechts (CISG/UNCITRAL) für die Bundesrepublik Deutschland, ZAP-DDR 1991, 263, 266 f.

16) Für das Verjährungsübereinkommen enthält freilich die Anlage 1, Kapitel III, Sachgebiet D, Abschnitt III, Nr. 5 zum Einigungsvertrag (BGBl. II 1990, 960) eine schwer verständliche Ausnahme, die nach der amtlichen Begründung sicherstellen soll, dass das Verjährungsübereinkommen für das Gebiet der ehemaligen DDR in Kraft bleibt. Die missliche Folge zweier unterschiedlicher Verjährungsregime wird m.E. zu Recht von HERBER abgelehnt, vgl. HERBER (Fn. 15), 5.

17) Vgl. K. IPSEN, Völkerrecht, 3.A München 1990, § 12 Rn. 16 ff.; J. P. MÜLLER/L. WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. A., Bern 1982, 173 ff.; A. VERDROSS/B. SIMMA, Universelles Völkerrecht, 3. A., Berlin 1984, §§ 977, 978; allerdings gilt das nicht für Fälle der Dekolonisierung, VERDROSS/SIMMA, a.a.O., § 979; vgl. aber BGE 105 I b 286 (1979).

18) Auch hier muss diese Voraussetzung nach Art. 1 Abs. 2 CISG erkennbar gewesen sein, vgl. M. KARROLUS, UN-Kaufrecht, Wien 1991, 29 und oben A. 1.

19) Entscheidend ist dabei die endgültige Verweisung auf ein bestimmtes Sachrecht, KAROLLUS (Fn. 18), 33; CZERWENKA (Fn. 1), 161 f.

20) Vgl. CZERWENKA (Fn. 1). 159 f.; KAROLLUS (Fn. 18), 32. Dies gilt sogar bei dem Verweis auf das Recht eines Vorbehaltsstaats nach Art. 95 CISG, wenn die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG erfüllt sind, vgl. J. HONNOLD, Uniform Law for international Sales under the 1980 United Nations Convention, 2.A., Deventer 1991, Art. 1 CISG S 47.3.

21) So auch AUDIT (Fn. 11), 23.

22) So auch W. A. STOFFEL, Le droit applicable aux contrats de vente internationale de marchandises, in: F. DESSEMONTET (Hrsg.), Les contrats de vente internationale de marchandises, Lausanne 1991, 31, der ausserdem noch Vorschlage für die Auslegung Schweizer Rechtswahlklauseln macht, 32.

23) Zu den Einwanden gegen diese Bestimmung vgl. HONNOLD (Fn. 20), Art. 1 CISG § 47.

24) So auch STOFFEL (FN 22), 27 f.

25) Vgl. ebenso STOFFEL (FN 22), 32.

26) So J. M. LOOKOFSKY, Loose Ends and Contorts in International Sales: Problems in the Harmonization of Private Law Rules, 39 Am. J. Comp. L. (1991), 403. 404 und FN 13.

27) So auch AUDIT (FN 11), 24.

28) Vgl. auch die weiteren Argumente für diese Lösung bei HONNOLD (FN 20), Art. 1 CISG § 47.5, example l H: a.A. STOFFEL (FN 22), 28 f., der dem UN-Kaufrecht einen möglichst breiten Anwendungsbereich sichern will. Weitere Nachweise zur Gegenansicht bei KAROLLUS (FN 18), 31 FN 56.

29) Wer dagegen in diesem Art. 2 Vertragsgesetz einen Teilvorbehalt sieht wie etwa G. REINHART, UN-Kaufrecht, Heidelberg 1991. Art. 1 CISG Rn. 7 ff., muss freilich klären, wie sich ein solcher in den völkerrechtlichen Rahmenbestimmungen der Artt. 89 ff. CISG nicht vorgesehener Vorbehalt mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik verträgt - nach Art. 95 CISG kann man entweder die Anwendbarkeit des Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG ganz ausschliessen oder ihn ganz übernehmen, nicht aber einen Teilvorbehalt einlegen, der Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG nur in bestimmten Fällen anwendet. Ein solcher Teilvorbehalt ist auch nur notwendig, wenn man, wie REINHART, a.a.O., Rn. 9, davon ausgeht, dass bei einer Verweisung auf einen Vorbehaltsstaat die Anwendungsfrage zugunsten des UN-Kaufrechts schon abschliessend geklärt sei. Nimmt man hingegen richtigerweise an, dass Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG eine Verteilungsnorm des internen Sachrechts sei, so würde bei einer Verweisung auf einen Vorbehaltsstaat zusätzlich noch die Frage der internen Geltung des UN-Kaufrechts zu klären sein. Da in dem Verweisungsstaat jedoch die Geltungsnorm des Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG wegen des Vorbehalts nach Art. 95 CISG fehlt, ist nationales Sachrecht anzuwenden. So auch AUDIT (FN 11), 23 FN 1.

30) A.A. für Gerichte von Vertragsstaaten KAROLLUS (FN 18), 31: wie hier CZERWENKA (FN 1), 162.

31) Vgl. zum umgekehrten Fall, dass das IPR eines vorbehaltslosen Vertragsstaates einheitlich auf einen anderen Vertragsstaat verweist, dieser aber z.B. Teil II des UN-Kaufrechts durch einen Vorbehalt nach Art. 92 CISG ausgeschlossen hat. HONNOLD (FN 20), Art. 1 CISG § 46.1.

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